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Vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung

Verschiedene technische Normen und Richtlinien verlangen, dass bei der Systementwicklung Risiken berücksichtigt werden, die sich aus „vorhersehbaren ungewöhnlichen Situationen” bzw. aus „vernünftigerweise vorhersehbarer Fehlanwendung” ergeben.

Die Norm DIN EN ISO 12100 zur Sicherheit von Maschinen oder auch die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG zur Reglung eines einheitlichen Schutzniveaus zur Unfallverhütung für Maschinen verlangen, dass bei der Entwicklung von Geräten, Anlagen und Systemen mögliche Fehlanwendungen oder leicht vorhersagbare menschliche Verhaltensweisen berücksichtigt werden müssen. Dies können z.B. sein: Der Verlust der Kontrolle der Bedienperson über die Maschine, reflexartiges Verhalten einer Person im Fall einer Störung, Konzentrationsmangel oder Unachtsamkeit des Bedienpersonals, Vereinfachungen oder Abkürzungen bei der Bedienung.

Solche Risiken durch vorhersehbare Fehlanwendungen müssen bei der Entwicklung und Konstruktion eines Systems berücksichtigt und durch technische Schutzmaßnahmen verhindert werden. Gelingt dies nicht, müssen an der Maschine entsprechende Warnhinweise angebracht, die Fehlanwendungen in der Betriebsanleitung aufgeführt und die Bediener entsprechend geschult werden. Personelle Maßnahmen sind also nachgeordnet, d.h. Risiken sind zu allererst durch technische Maßnahmen und - falls dies nicht gelingt - durch organisatorische Maßnahmen zu begegnen. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sind personelle Maßnahmen geboten.

Deswegen ist es für Entwickler wichtig, dass sie neben ihrer technischen Expertise die Anforderungen der jeweiligen Sicherheitsnormen kennen und darüber hinaus in der Lage sind, ungewöhnliche Anwendungssituationen oder mögliche Fehlanwendungen zu antizipieren.

Im Rahmen des Systems Engineering gibt es Ansätze des Human Factors Engineering, die die Komplexität des menschlichen Denkens, Entscheidens und Handelns bei der Systementwicklung berücksichtigen. Dies geht weit über die Perspektive von klassischen Ansätzen der Ergonomie und Usability hinaus, weil hierbei in einem interdisziplinären Ansatz der Mensch als Teil der Entwicklung komplexer technischer Systeme wahrgenommen und unterstützt wird.